Chronik

Von der Gründung bis in die Gegenwart

Ehrengarde Sassenberg 1921

Die Ehrengarde im Gründungsjahr 1921



Ehrengarden sind ein Phänomen. In den Jahren zwischen den beiden Weltkriegen entstanden sie überall dort, wo sich aktive Schützenvereine ein besonderes Aushängeschild schaffen wollten. Drei Hauptgründe gibt es für die Entstehung solcher Garden: eine schmucke und gut ausgestattete Ehrengarde mit jungen Männern bereicherte den Umzug und bildete einen Blickfang bei den Festen. Daneben ließ sich auf diese Weise die Jugend hervorragend an das Schützenwesen heranführen und in das Vereinsleben integrieren. Schon die erste Satzung der Sassenberger Ehrengarde schrieb fest, daß die Garde in den Bürgerschützen-Verein eingebunden war. Bis heute muß der von den Gardisten gewählte Kommandeur vom Vorstand des Bürgerschützen-Vereins bestätigt werden. Der dritte Grund - und eher unausgesprochen, vielleicht sogar unterbewußt - ist das Fehlen von Zackigkeit und Paradeauftritten in den Zeiten verordneter Militär-Abstinenz zwischen den Weltkriegen. Wenngleich preußische Primärtugenden weiterhin hoch im Kurs standen - die bislang gewohnte Ordnung und Ausbildung der jungen Männer war durch die Versailler Verträge dahin.

 

Weniger die jungen Männer selbst, als die Altvorderen sorgten dafür, daß über das Vehikel Ehrengarde exakt das Einzug hielt, was viele vermißten: Schießübungen, soldatische Disziplin und ein uniformes Bild vor allem bei den Märschen. Bewußt oder unbewußt - mit der Ehrengarde sickerten preußische Tugenden in den Schützenverein. Die Schützen selbst traten lediglich in schwarzem Anzug und mit Schützenhut auf. Die Ehrengarde hingegen legte von Beginn an großen Wert auf eine akkurate und korrekte Erscheinung; Uniformen für alle Mitglieder zu beschaffen war daher in den Anfangstagen eine Hauptaufgabe. Und als die Ausstattung noch nicht einheitlich war, sorgten Brustschnüre, Achselklappen und Hutkordeln für ein schmuckes Erscheinungsbild.

 

Die erste Anregung für die Gründung einer Ehrengarde in Sassenberg ist für die Generalversammlung 1921 des Bürgerschützenvereins dokumentiert. Das geht aus der Jubiläumsfestschrift des Vereins zum 100-jährigen Bestehen im Jahr 1939 hervor. Doch damit erschöpfen sich die Quellen über die Gründung bereits Zeitzeugen leben nicht mehr, Dokumente mit Einzelheiten über die Entstehung oder die damit verfolgten Ziele gibt es weder im Archiv des Bürgerschützen-Vereins noch der Ehrengarde. Selbst das Archiv des damaligen Warendorfer Tageblattes, verrät nichts über die konkreten Absichten oder den Versammlungsort. Auch das Stadtarchiv und das Kassenbuch der Ehrengarde - ansonsten auch für diese Jubiläumsfestschrift ein oft hilf- und aufschlußreiches Informationsmittel - geben darüber keine Hintergründe preis.

 

Der erste Eintrag ins Kassenbuch der Ehrengarde stammt erst aus dem Jahr 1924. Was im wesentlichen daran liegt, daß es in den ersten drei Jahren weder Kassierer noch Schriftführer gab. Erst 1924 besetzten die Ehrengardisten diese Ämter. Zwar sagt die Festschrift 1939 der Bürgerschützen darüber: ". . . Melchior Lackamp, der rückwirkend vom Gründungsjahr bis zu seinem Austritt im Jahre 1931 das Protokoll der Ehrerigarde in mustergültiger Form führte und gleichzeitig die Kasse verwaltete." Doch die Quelle für diesen Eintrag ist 1996 unauffindbar.

Das einzige Dokument der ersten Tage ist eben das Kassenbuch. Dafür darf die "mustergültige Form" getrost gelten - selbst wenn die Sütterlin-Schrift heute jungen Menschen oft rätselhaft erscheint. Allerdings geht daraus für die ersten Jahre inhaltlich kaum mehr hervor, als etwa die Höhe der Mitgliedsbeiträge (eine Mark pro Gardist und Jahr). Gleiches gilt für allgemeine Werke über das Schützenwesen dieser Zeit. "Das westfälische Schützenwesen des 19. und 20. Jahrhunderts" aus dem Verlag Aschendorf zum Beispiel schweigt zum Thema Ehrengarde völlig, und auch Nachforschungen etwa in der Enzyklopädie des Bertelsmann-Verlages bringen keinen Aufschluß über die Entstehung der Ehrengarden in Westfalen.

 

Zurück zur Gründung der Sassenberger Garde 1921. Die erste Satzung legte fest, daß nur Schützenbrüder zwischen 19 und 30 Jahren der Ehrengarde beitreten durften, die zudem - was ein umgeschriebenes Gesetz war - ledig sein sollten. 25 Gardisten zählte der Gründungsjahrgang. Zum Kommandeur wurde Theodor Maas gewählt. Aus der Festzeitschrift 1939, als Zeitzeugen noch aus eigener Erinnerung berichteten, geht hervor, daß die ersten Jahre von Improvisation geprägt waren. Zu Beginn fehlten sogar eigene Uniformen. Der Warendorfer Schützenkamerad Böckenholt half den Sassenbergern aus dieser mißlichen Lage: er lieh ihnen 25 Uniformen. Schneidermeister Heinrich Ahmann aus Sassenberg sorgte anschließend für die immer weiter komplettierte - Ausstattung. Er änderte Hosen, bügelte Uniformen und reparierte, wo immer es nötig war. Das half dem Kassierer ungemein - Eintragungen für derlei Dienste sind im Kassenbuch jedenfalls nicht vermerkt.

 

Das Archiv der Ehrengarde dokumentiert, daß ab 1924 nach und nach eigene Uniformen angeschafft wurden. Auf die Vervollständigung der Ausstattung wurde wegen der zuvor beschriebenen Zielrichtung von Ehrengarden allergrößter Wert gelegt. Da die Mitgliedsbeiträge dazu jedoch nicht ausreichten, wurden Preisschießen zur Finanzierung veranstaltet. So kamen zu den Unifomen rasch Brustschnüre, Achselklappen, weiße Hosen und Hutkordeln hinzu. Nach und nach wurde die Organisation immer fester.

Die erste offizielle Satzung (siehe nebenstehende Abschrift), legten die Gardisten dem Vorstand des Bürgerschützen-Vereins 1925 vor.

 

So dürftig schriftliche Dokumente aus den Gründungsjahren sind - Fotos gibt es reichlich und teilweise in bestechender Qualität. Wer diese Bilder neben aktuelle Fotos legt, der erkennt bei allem Zeitunterschied durchaus Ähnlichkeiten. So ist die Marschordnung mit dem Kommandeur an der Spitze natürlich identisch; in Haltung, Formation und selbst im umformen Aussehen unterscheiden sich die Gardisten von einst und heute kaum. Auch zum Ende des 20. Jahrhunderts präsentieren die Ehrengardisten stolz Standarte und den Präsentiervogel, tragen sie Degen und Gewehr - nicht anders als in den Gründungsjahren.

 

75 Jahre Ehrengarde - das ist nicht nur ein Dreivierteljahrundert Schützentradition und Ausbildung der Jungschützen. Das ist in vielen Sassenberger Familien mittlerweile gute Familientradition. Ein treffliches Beispiel ist die Familie Kunstleve. Heinrich Kunstleve zählte 1921 zu den Gründungsmitgliedern und fungierte damals gleich als Standarten-Offizier. Die Begeisterung für die Ehrengarde findet sich auch heute noch bei seinen Enkeln wieder: mit Jürgen, Alfred und Bernhard Kunstleve sind im Jubiläumsjahr gleich drei Familienmitglieder in der Ehrengarde.

Auch wenn diese Häufung einzigartig ist; daran läßt sich erkennen, daß die Ehrengarde von Beginn an eine ganz besondere Funktion im Bürgerschützen-Verein und im gesellschaftlichen Leben der Stadt hatte. Sie stand und steht für Bodenständigkeit, für Kameradschaft und als Einstieg ins Schützenleben. Hier üben junge Schützenbrüder Marschtechniken, Präsentation und Auftreten; hinzu kommt die Schießausbildung. Aber zumeist ist der Eintritt in die Ehrengarde für die jungen Männer eine Selbstverständlichkeit - weil der Vater schon dabei war, weil die Ehrengarde zu Sassenberg gehört wie die Hessel und weil zu fast allen Zeiten das Vereinsleben der Garde eine große Verlockung ausübte.

 

Natürlich spiegeln die Gesichter der Gardisten die andere Zeit wieder - doch die Beweggründe, der Garde beizutreten, dürften sich in all den Jahren nicht verändert haben: Die Verbundenheit mit dem Schützenverein und der Sassenberger Heimat fallen bei den Mitgliedern heute, kurz vor der Jahrtausendwende, nicht anders aus, als bei der Gründung 1921. Damals wie heute bilden sie als Ehrengardisten das Aushängeschild des Vereins, zuweilen sogar für die Stadt. Sie nehmen bestimmte Aufgaben im Vereinsleben wahr, aber auch gesellschaftliche Verpflichtungen wie beispielsweise beim Tag der Offenen Tür od Die Ehrengarde versteht sicher ihres Winterschützenfestes nicht nur als eigenständiger Verein, sondern durchaus als Bestandteil des gesellschaftlichen Lebens in der Stadt. Und ihre Mitglieder sind sich einig bei dem Bekenntnis:

Ehrengardist sein, das heißt Schützenbruder sein - aus vollem Herzen.

 

 

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© Michael Blömker